Als das Gefühlschaos im Körper Begann

Sommer 2008

Bemerkte ich verschiedene erstmalige Symptome wie Taubheitsgefühle in den Füßen, Kribbeln in den Händen/Fingern und Tagesmüdigkeit. Nach anfänglichen Arztbesuchen beim Allgemeinmediziner, ging die Reise weiter in die Fachabteilung: Neurologie.

Damals wusste ich noch nicht - dass diese Abteilung nun zu meinen Hauptansprechpartner gehören wird.

  

Zur weiteren Abklärung erfolgte eine stationäre Aufnahme in einer neurologischen Abteilung.

Herbst/Winter 2008

In der Klinik wurde ich sprichwörtlich auf den Kopf gestellt.

 

Es erfolgten viele verschiedene Untersuchungen wie z.B.

 

  • Lumbalpunktion (Untersuchung des Nervenwassers im Rückenmarkskanal mit einer Hohlnadel), unangenehmes Gefühl
  • intensive Labortests
  • EKG (Echokardiogramm)

 

neurophysiologischen Untersuchungsmethoden

 

  • EMG (Elektromyographie = Messung elektrischer Aktivität in entsprechenden Muskeln, eine Nadel wird fächerförmig in die Muskeln eingeführt, unangenehme/schmerzhafte Prozedur)
  • EEG (Elektroenzephalografie = Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, es werden Elektroden auf die Haut aufgesetzt und durch elektrischen Strom gereizt, unangenehme/schmerzhafte Prozedur)
  • SSEP (Somatosensibel evozierte Potentiale = mit dieser Untersuchung misst man die Zeit, an Arm oder Bein die benötigt wird bis zur Verarbeitung im Gehirn mit entsprechenden Elektroden)
  • MEP (Magnetisch evozierte Potentiale = diese Untersuchung bestimmt die Leitungsfähigkeit der motorischen Nervenbahnen vom Gehirn über das Rückenmark sowie die peripheren Nerven zum Muskel, mit einer magnetischen Spule wird ein Impuls im Bereich der Bewegung des Gehirn oder Rückenmark gesetzt - welches eine Zuckung von Arm oder Bein auslöst - dabei wird die Zeit zwischen Reiz bis zur Zuckung gemessen)

 

Nach entsprechender Auswertung zeigten sich noch immer keine eindeutigen Hinweise. Dafür standen gleich mehrere mögliche Erkrankungen in Verdacht. Wo eine schlimmer gewesen wäre als die andere...

 

Um der Ursache meiner Symptome immer mehr auf die Schliche zu kommen, wurde bei mir eine Nerven- und Muskelbiopsie durchgeführt. Leider ergaben auch diese Befunde keine eindeutige Bestätigung. Stattdessen verursachte die Nervenbiopsie am Nervus Suralis eine bleibende Taubheit am linken Fußrand. Dieser Nerv versorgt sensibel die Ferse und den seitlichen Fußrand. Jedoch vermutete man nun eine vererbte Nervenerkrankung (HMSN), konnte jedoch eine CIDP (ist eine sehr selten auftretende entzündliche Erkrankung der peripheren Nerven) nicht ausschließen.

 

Nach dem Klinikaufenthalt wurde die Krankschreibung aufrechterhalten. Jedoch auf mein Drängen hin, bat ich um ein Wiedereingliederungsverfahren, welches bis Januar 2009 stufenweise erhöht wurde.

 

Eine Therapie in Form von Physiotherapie wurde 2 x in der Woche veranlasst sowie medikamentöse Therapien.

 

Auch eine Vorstellung in einer mehrtägigen Rheumatologie ergab keine weiteren Aufschlüsse über die Ursache meiner Beschwerden.

 

Dezember 2008

Auf Anraten meiner Ärztin sollte ich den "Schwerbehindertenausweis" beantragen. ("Was für ein Wort...ich verstand die Welt nicht mehr. Es kribbelt doch nur hier und da...und ich war halt müde. Wo sollte das alles nur noch hinführen?"). Mechanisch führte ich die Anweisung aus und reichte den Antrag ein. Jetzt hieß es abwarten und erst mal mit den ganzen Eindrücken/Ängsten und weiterhin den gesamten Beschwerden zurechtkommen.

Winter/Frühjahr 2009

In einer Muskelsprechstunde wurde mir eine humangenetische Testung empfohlen. Dieser sollte den Anfangsverdacht der "HMSN" bestätigen. Daraufhin wurden mir einige Blutröhrchen abgenommen und an ein Speziallabor geschickt.

 

Eine 4-wöchige Rehabilitation wurde mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen.

 

Antrag auf Schwerbehinderung ergab: "40 Grad der Behinderung" - für mich ein Schock - für die Ärzte dagegen zu wenig. Also sollte ich auf Anraten in Widerspruch gehen - gesagt, getan, wenn auch deutlich zeitverzögert.

Sommer 2009 

Ein Jahr verging seit den ersten Beschwerden.

 

Das Ergebnis der humangenetischen Testung lag vor:

Vermutet wurde weiterhin die "HMSN", jedoch wurden die gängigsten Gendefekte (wie z. B. PMP22 oder Cx32, kein Hinweis auf eine Punktmutation, Deletion oder Duplikation) ausgeschlossen.

 

Mein klinischer Verlauf verschlechterte sich immer mehr neben den mir bekannten Symptomen kamen noch Nervenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Gangstörungen, Kraftminderung in Händen/Füßen sowie Schwindel und Kopfschmerzen dazu.

Mehrere Finger wurden eines Tages fast wie taub.

 

Neben ständiger Physiotherapie griff dieser gesamte Verlauf verständlicherweise meine Seele an, so dass ich auch da eine entsprechende Therapie begann.

Herbst 2009

Da mir persönlich diese ganzen Angaben zu meinen möglichen Krankheitsbild nicht ausreichend waren, beschloss ich mir eine Zweitmeinung in einer anderen Klinik zu holen.

 

Durch Recherchen im Internet, stieß ich auf die Universitätsklinik in Göttingen. Dort vereinbarte ich einen Termin. Nach einer ausführlichen körperlichen/neurologischen Untersuchung eines HMSN-Spezialisten, bestätigte dieser mir den Verdacht dieser vererbten Nervenerkrankung "HMSN".

Da der Krankheitstyp dieser Erkrankung noch nicht bekannt war - schlug mir der Arzt eine erneute humangenetische Testung vor. Diese Blutproben wurden an ein Speziallabor, welches mehr Möglichkeiten der Untersuchungsverfahren hatte, gesendet. So machten sich meine Blutproben damals auf die Reise nach München.

 

Winter 2009

Zwischenmitteilung aus München: "In einer ersten Analyse konnte keine pathogene Mutation im MFN2 Gen nachgewiesen werden - Es werden derzeit Mutationen im MPZ-Gen untersucht" - Die Spannung stieg ins unermessliche bei mir - sollte es sich wieder um eine Enttäuschung handeln?!

Winter/Frühjahr 2010

Meine Beschwerden hatten einen Namen bzw. die Ursache trägt den Namen: HMSN Typ 1 B

 

Die humangenetische Testung aus München hat ergeben: "Es konnte eine pathogene, hereozygote Deletion des codierenden Exon 1 im MPZ-Gen nachgewiesen werden. Somit konnte die klinische Verdachtsdiagnose einer HMSN molekulargenetisch bestätigt werden".

 

Nur was bedeutete das für mich...? Ab jetzt war nichts mehr wie vorher - Schwarz auf Weiß - hatte man nun eine Krankheit diagnostiziert bekommen - die als unheilbar galt und wo es bislang nach keine kausale  Therapie (die Behandlung der Krankheitsursache) gab. Nur eine symptomatische Behandlung war möglich.

WÄHREND DER LETZTEN 4 JAHRE...

Wenn ich jetzt so zurück blicke...klingt es nach gar keiner langen Zeit...die Zahl 4 ist ja nicht mal zweistellig.

Dennoch ist so viel passiert.

 

Im Endeffekt hat sich seit 2010 die Welt für mich um 180 Grad gedreht. Kurzgefasst mein damaliger Lebensinhalt genannt "ARBEIT" wurde immer mehr mir ein Stück genommen.

Lästige aber gut gemeinte Sätze wie:

"Aus gesundheitlichen Gründen...wäre es doch besser..."

"...um die vorhandene Leistungsfähigkeit bestmöglich zu erhalten..."

"...mehr Zeit für wichtige Therapien..."

"...mehr Therapien beginnen..."

"...Zeit um sich mit der Krankheit zu beschäftigen..."

usw. 

Sprich - nach und nach wurde ich mal 1 Jahr auf 30 h und die letzten paar Jahre auf 20 h im Arbeitsumfeld heruntergeschraubt.

Von ärztlichen/therapeutischen/familiären/freundschaftlichen Empfehlungen, diese ich mechanisch ausführte.

Jetzt durfte/musste ich mich auch ganz offiziell von behördlicher Seite als "Schwerbehinderter Mensch" ausweisen zu dem trug ich den Titel Teilrentner. Was für ein Wort aber es folgte ein paar Jahre später noch ein gruseligeres.

 

Nur wie sah ich dies alles?! Ganz einfache Antwort verknüpft mit einer Frage: "WO WAR NUR MEIN ALTES LEBEN GEBLIEBEN?"

 

Freizeitbeschäftigungen nach der Arbeit bestanden aus anstrengenden Therapien - Zeit zu finden für viele aktive Freundschaften - dazu war der geschundene Körper zu müde oder das Verständnis von einigen sogenannten Freunden sehr begrenzt. Eine Selektierung dieser wurde schmerzlich notwendig.

 

Neue Ausfälle, neue Symptome, verschiedene Nebenwirkungen von zahlreichen medikamentösen Therapieversuchen prasselten auf mich ein... Der Körper, der Geist...einfach ICH veränderten sich mit den Jahren...

Es gab Tage da erkannte ich mich selbst von Verhaltensweisen...vom Körpergefühl NICHT wieder...

Dieses alles zeigte sich auch ganz deutlich negativ in meiner Arbeitsweise und in meiner Leistungsfähigkeit.

 

Soll das ein ganzes LEBEN nun so WEITERGEHEN?

 

Ich musste eine Entscheidung treffen, mich wirklich etwas vor den Gefahren des Alltages mit dem Decknamen "STRESS" schützen.

 

So kam es, dass ich im Februar 2014 den Antrag auf volle Erwerbsminderungsrente (EU-Rente) beantragte. 

Im Leben muss man ja so einige Entscheidungen treffen - diese war für mich bis jetzt die schwerste und nagt auch noch weiterhin an meiner Seele. 

 

Nach erfolgtem wiederholten Gutachten von einem unabhängigen Gutachter der auf Wunsch von der Deutschen Rentenversicherung zum Einsatz kam.

Wurden die aktuellen neurologischen Untersuchungen begutachtet, mein aktueller Zustand, mein Leben vor der Erkrankung besprochen und mein Standpunkt der Dinge angehört. Es war ein sehr erniedrigendes Gefühl vor einem Gutachter zu sitzen, der in diesem Moment über deinen weiteren Verlauf deines Lebens (finanzieller Hinsicht) bestimmen wird. 

 

Danach erfolgte viel Papierkram mit unzähligen Behördengängen. Die genauso an den Kräften zerrten.

Dennoch kam schließlich nach kurzer Zeit das Ergebnis:

 

"Antrag auf volle Erwerbsminderungsrente wird auf Zeit stattgegeben"

 

Seit September 2014 - ca. 6 Jahre seit den ersten "harmlosen" Symptomen - EU - Renterin. Was für ein trauriger Wahnsinn.

Warum das alles so schnell? Es hieß doch das Krankheitsbild schreitet langsam im Laufe des Lebens fort... !!! Sind nicht einmal ganz 6 Jahre ein langsamer Verlauf bis zur EU-Rente...???! NEIN - das ist nicht LANGSAM...das ist rasend schnell...Warum kam ich nicht vom Beschleunigungspedal herunter???!

 

Es flossen nur so die Tränen als der Brief kam.

 

EU-RENTNERIN was für ein gruseliges Wort.

 

Ein neues Leben begann...ach Nein - MEIN NEUES LEBEN BEGANN...